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Das Kiepenkerlwesen – Ein historisches Beispiel für „erzeugernahe Vermarktung“?

von Heinrich Klockenbusch

 

Der „Kiepenkerl“ – eine folkloristische, touristische Figur in blauem Leinenkittel, rotem Halstuch, dem geflochtenem Tragekorb (Kiepe),Stock und Pfeife, die so anheimelnd und Döneken erzählend daherkommt. – Schön oder ein Trugbild, welches der Historie dieser fahrenden (laufenden) Händler nicht gerecht wird?

Tatsache ist, dass es über rd. 5 Jahrhunderte in den Ortschaften einen Händler gab, der die Waren aus seinem Ort und den umliegenden Bauerschaften in die nächste Metropole getragen hat. Das „Kiepenkerlwesen“ ist im Gebiet zwischen Brügge im Westen, Tallin im Osten, den Mittelgebirgen im Süden und Dänemark im Norden nachweisbar.

Auch Heessen hatte solche Händler, die mit ihrer Kiepe (Gewicht etwa 50 kg) und in der Erntezeit mit zwei geflochtenen Rundkörben (zusätzlich je 25 kg) die Waren überwiegend nach Münster zum Prinzipalmarkt getragen haben. Handelsgut waren alle Erzeugnisse aus dem Ort wie Leinen, Wurstwaren, Schinken, Eier, Gemüse, Obst, Geflügel usw.. Auf dem Rückweg brachten sie Waren mit, die in ihrem Ort gebraucht wurden z. B. Knöpfe, Eisen, Tran, Bänder, Stockfisch, Indigo, Gewürze usw…

Ihren Weg nahmen sie vornehmlich über kleine und kleinste Wege. Dadurch konnten ärgerliche Zölle und Abgaben an die jeweiligen Adelsherren vermieden werden. Den Weg von Heessen nach Münster (etwa 38 km) bewältigte so ein Handelsmann in etwa 8 Stunden. Im Vergleich dazu benötigte ein Fuhrwerk auf den größeren Handelswegen etwa 1½ Tage. Wegezölle verteuerten zudem die mit Wagen transportierten Waren. Heute würde die Handelsform der Kiepenkerle mit „erzeugernahe Vermarktung“ beschrieben.

Die Kiepenkerle waren aber für ihren Heimatort mehr als nur die Händler. In den Zeiten ohne Post, Radio, TV, Telefon und Internet sorgten sie für Informationen. So manche Heirat wurde vermittelt und über Geburten, Sterbefälle, Mode-Trends und sonstige kleine und große Ereignisse auf den einzelnen Höfen berichtet. Auch gesetzliche Normen bis hin zur Mobilmachung wurden in der Regel nur durch diese Personen in die Ortschaften getragen.

Als die „Tödden“ – Tuchhändler mit Handelshäusern in den Metropolen – „Hausierer“ ausschickten, um die kleineren Ortschaften für ihre Geschäfte zu erschließen, verfügte der Preußische Staat 1703 für die mittleren und östlichen Provinzen ein „Hausierverbot“. Der erlassene Maßnahmenkatalog sah die Konfiszierung aller Waren (Amtsbankrott) vor. Ausgenommen von dieser einschneidenden
Gesetzesnorm waren ausdrücklich die für den Staat wertvollen „Kiepenkerle“.

Einer der Heessener Kiepenkerle soll den Namen „Jan Dümmelkamp“ getragen haben. Das Ludgerus-Blatt (IV Jahrg., Nr. 38, Seite 602-604, v.23.09.1894) beschreibt mit einem Gedicht in münsterländischem Plattdeutsch diese Person. Prof. Dr. Hans Taubken schreibt dieses Gedicht dem 18. Jahrhundert zu. Danach pflegte dieser Kiepenkerl aus Heessen nach seinem Weg nach Münster regelmäßig im Minoriten-Kloster zu nächtigen. Da „Jan Dümmelkamp“ häufig angetrunken von seinen Geschäften auf dem nahe gelegenen Prinzipalmarkt zurückkehrte, erlaubten sich die Patres einen Streich mit ihm, der in epischer Breite in dem Gedicht erzählt wird.

Heute erinnert eine Bronzestatue des Künstlers Bernhard Kleinhans an die Kiepenkerle von Heessen. Sie steht vor dem Speicher der kath. Kirchengemeinde auf dem ehem. Markt- und Gerichtsplatz (Heessener Dorfstr.), das 1677 das ersten Heessener Schulgebäude wurde.

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